Dr. Martina Mettner

Kurz-Biografie

Martina Mettner schreibt über Fotografie als Ausdrucksmittel und Lebenspraxis. Seit 20 Jahren unterstützt sie Fotografinnen und Fotografen bei der Selbstpräsentation. Nach der Promotion in Soziologie mit einer Untersuchung über künstlerische Fotografie war sie zehn Jahre lang Chefredakteurin von bis zu drei Fotozeitschriften. Seit 2010 veröffentlichte sie Bücher zur künstlerischen Fotografie, zu Fotoprojekten und zum Selbstmarketing. Seit Anfang 2021 ist sie im geschäftsführenden Vorstand der DGPh.

martina-mettner.de

Kuratoren-Statement

"Der Talisman ist ein Gegenstand, dem glückbringende Kräfte zugeschrieben werden. Die Kamera kann solch ein Glücksbringer sein. Sie ist zudem ein Schlüssel, der den Zugang eröffnet zu Lebenswelten, in die man ohne sie nicht eintauchen würde. Je intensiver sich Fotografinnen und Fotografen einer anderen Lebenswelt aussetzen, desto beeindruckender die Ergebnisse: Bilder, die diese Intensität der Empfindung und Erkenntnis, diesen gelegentlich intimen Einblick in das jeweilige Leben mit dem Betrachtenden teilen.

Die feine Balance von innerer Nähe und Distanz des Fotografierenden zu seinen Protagonisten oder seinem Motiv allgemein, wird sehr individuell gelöst. Loredana Nemes gelingt es in ihrer Serie „Beyond“, das Nähe-Distanz-Verhältnis zu visualisieren: Das Porträt so nah und zugleich durch das Sichtschutzglas so fern ‒ die für Frauen verschlossene Welt der türkisch-arabisch-orientalischen Männertreffs.

Ganz entrückt und in sich versunken sehen wir eine Statistin hinter der Bühne auf ihren kurzen Auftritt wartend. Matthias Jung fotografierte diese „Hommage an die Nebenrolle“.

Lange und intensiv befasste sich Wolfgang Müller mit chinesischen Wanderarbeiterinnen bei „Mingong. Die Suche nach dem Glück“. Eine seiner Protagonistinnen erlaubt ihm, sie ungeschützt und sehr intim zu fotografieren.

Nackt und ungeschützt präsentiert sich ein Jugendlicher vor einem Ballerspiel. Er muss damit rechnen, selbst erschossen zu werden. Seine Familie ist in eine Blutfehde verwickelt. In „Gjakmarrje – In the Blood“ zeigt Birte Kaufmann den Alltag einer albanischen Familie.

Ein „Krieg ohne Krieg“ bewegt Meinrad Schade. Er fotografierte in Israel und in den besetzten Gebieten. Der Anblick der Frau in ihrer Küche gegenüber wirkt irreal, wie eine Projektion, die Leben in einem gespenstischen Gebäude vortäuschen soll. (Dieses Motiv korrespondiert mit dem letzten.)

Was eine Familie zu sein scheint, ist in Boris Eldagsens nächtlicher Szene vielleicht der Vater mit zwei Töchtern an einem lauen Sommerabend. Ob die angedeutete Geschichte gut ausgehen wird, ist zumindest nicht sicher.

Düster in ganz anderer Hinsicht wirkt das auf den ersten Blick so unscheinbare Motiv von Die arge Lola. „Nebenan“ der gedachten Familienidylle mit Wäsche auf der Leine: das Vernichtungslager Auschwitz. Was bedeutet es, hier zu leben? Das fragt auch Andreas Weinand in „The Good Earth“. Er porträtiert zwei Menschen, ihre Tiere, die innige Beziehung zu einem Stück Land.

Daniel Schumann fotografiert Eltern mit lebensbedrohlich erkrankten Kindern. Seine Fotografien „beschreiben in diesem Langzeitprojekt wie Familien der Krankheit ihres Kindes und der Endlichkeit des Lebens begegnen.“

Es geht bei der ausgewählten Fotografie um Existenzielles: um Nähe und Fremdheit, um Familie und Heimat, um Leben und Sterben. Fotografinnen und Fotografen, die sich diesen Themen und Erfahrungen aussetzen, verdienen großen Respekt.

Zur Fotografie gehört aber zugleich die Frage nach Schein und Sein. Wolfgang Bellwinkel übt Kontrolle aus über „den Bildraum und das Narrativ“ und beschließt mit seiner filmisch wirkenden Szene in einer unwirtlichen Architektur meine Auswahl."

(Foto: Andreas Reeg)

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Auswahl

© Loredana Nemes | beyond (2008 - 2010)

© Matthias Jung | Aida etc. (2012 - 18)

© Wolfgang Müller | Mingong. Die Suche nach dem Glück (2005 - 2011)

© Birte Kaufmann | Gjakmarrje – In the Blood (2015 – 2017)

© Meinrad Schade | Krieg ohne Krieg: UNRESOLVED (2013 – 2017)

© Boris Eldagsen - OTHER POEMS (2015 - heute)

© die arge lola (Kai Loges + Andreas Langen) | Nebenan Auschwitz - Die Nachbarschaften der Lager Auschwitz I - III (2012 - 2017)

© Andreas Weinand | The Good Earth (1998 - 2006)

© Daniel Schumann | Prinzessinnen und Fußballhelden. Lebensbedrohlich erkrankte Kinder (2010)

© Wolfgang Bellwinkel | Interventions (2017 - heute)

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