Fragte man Hansi Müller-Schorp nach dem Schlüssel für ihre großartigen Arbeiten, so lächelte sie und bedeutete, sie habe lediglich jedem Gegenstand etwas Schönes abgewinnen wollen. Was sich leicht anhört, war in Wirklichkeit harte Arbeit: Disziplin, Begeisterung, Schöpferkraft und ein Auge für die Dinge sind unabdingbar für eine erfolgreiche Sachfotografie. Hansi gehört zu den wenigen Frauen, die sich in der jungen Bundesrepublik in dem schwierigen Metier behauptet haben. Bis in die neunziger Jahre hat sie das Genre bereichert.
Ihr Markenzeichen sind unkomplizierte, doch eigenwillige bildgestalterische Lösungen, die auf strenger, schmuckfreier Gestaltung basieren. Mit einer bis ins letzte Detail ausgefeilten Lichtregie schuf sie formvollendete Kompositionen von Porzellan, Besteck, Gläsern, Maschinenteilen und Möbeln, die weit über eine Dokumentation hinausweisen. Es sind quasi Stillleben, die das Erscheinungsbild ihrer Auftraggeber prägten. Nicht nur in abstrahierendem Schwarzweiß hat sie außergewöhnliche Bilder erzeugt, wie kaum jemand anderes beherrschte sie zugleich die Farbfotografie und brachte die Gegenstände in geschmackvollen, farbigen Arrangements zum Klingen. Die Produkte der Auftraggeber wie Pott oder Arzberg bildeten auch das Ausgangsmaterial für ihr freies künstlerisches Werk. Hier ließ sie ihrer Experimentierlust freien Lauf und reduzierte die Gegenstände auf Formen und Linien voller Poesie bis hin zu surreal anmutenden, irritierenden Fotografiken.
Hansis berufliche Entwicklung war geprägt von dem legendären Altmeister der Sachfotografie, Willi Moegle. Bei ihm begann sie mit 14 Jahren eine Lehre, wurde Assistentin, Leiterin und Nachfolgerin seines „Ateliers für Fotodesign“. Aufbauend auf der visuellen Grundauffassung des Mentors, entwickelte sie eine ästhetisch einzigartige Sichtweise für Dinge des Alltags. Es war schwer, neben Moegle zu reüssieren. „Ich war eben ein Schattengewächs. Aber das ging vielen Frauen so“, erzählte mir die liebenswerte Fotografin, die nie viel Aufsehen von sich machte, aber ihren Weg konsequent verfolgte und ergänzt „Die Lehre bei Moegle war gut für mich, für die Schule in München hatte ich kein Geld und seine Fotografie war auch meine Richtung.“
Von ihrem wirksamen Schaffen zeugen auch die Berufungen in verschiedene Verbände. Allein 72 Jahre war sie Mitglied in der DFA, damals GDL, und von 1983 bis 2008 engagierte sie sich im Vorstand für die Belange der Vereinigung. Jahrzehntelang tagte die DFA/GDL in ihrem Wohnort in Leinfelden-Echterdingen. Hansi nutzte diese Schnittstelle zur Förderung der Fotografie vor Ort und in Baden-Württemberg. 2012 ehrte sie die DFA mit der David-Octavius-Hill-Medaille in Verbindung mit dem Kunstpreis der Stadt Leinfelden-Echterdingen. Mit der Übernahme ihres Vorlasses durch die Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, im Dezember letzten Jahres erfüllte sich ein Herzenswunsch von Hansi Müller-Schorp. Im Wissen, dass ihr facettenreiches Werk der Nachwelt erhalten bleibt, ist sie am 27. Juli 95-jährig still entschlafen.
Dorothea Cremer-Schacht