Ein Lama soll in einen Ballsaal geführt werden.
Nachruf auf Erasmus Schröter
Das erste Mal traf ich Erasmus im Juni 1985. Zwei Freundinnen hatten ihn und seine Gefährtin Annette Schröter zur anstehenden Sommernachtsparty nach Weimar in die Orangerie des Schlosses Belvedere mitgebracht. Es sollte ein illustres Fest und der Beginn einer langen Freundschaft werden. Wir mochten uns nach einigen Momenten und redeten nicht nur über unsere Fotos und Annettes Bilder. Bis dahin kannte ich Erasmus aus einer Publikation in der Zeitschrift „Fotografie“. Aufnahmen der Serie „Nachts“, seiner Diplomarbeit an der „Hochschule für Grafik und Buchkunst“. Jene verstörende Serie bestand aus raffiniert geblitzten schwarzweiss – Infrarotfotografien surreal anmutender Szenen des nächtlichen Lebens im Leipzig des Jahres 1981. Sie standen in krassem Gegensatz zur bildjournalistisch-propagandistischen DDR – Fotografie. Er hatte die Stimmung seines Landes zwischen Dämmerzustand und Agonie festgehalten. Wartende an Haltestellen, Szenen eines Tanzturniers, rätselhafte Interieurs wie jenes der titelgebenden Überschrift: „Ein Lama soll in einen Ballsaal geführt werden“. Zu sehen ist eine Person im Arbeitskittel, die ein Lama am Zügel vor der geöffneten Tür eines Ballsaales hält. Rechts daneben steht ein Mann im weißen Kittel, der wie ein Statist auf das Lama blickt. Diese eingefrorenen schonungslosen Blicke wurden bestimmend für Schröters DDR – Alltagsbilderwelt und machten ihn schnell bekannt und zum Feind der kunstbestimmenden Parteibonzen. Das zweite Mal trafen wir uns am 17. Juli 1985 zur Abschiedsparty des Künstlerpaares. Anschließend reisten beide in den Westen nach Hamburg aus. Von nun an standen wir in benutzerdefinierter postalischer Verbindung: Preiswerte Öl - Künstlerfarben aus dem Osten gegen Schallplatten und Kataloge aus dem Westen. Aber auch Arbeitsproben wurden getauscht. Erasmus schickte Dias seiner farbig beleuchteten Bunker des Atlantikwalls und wunderbare Porträts und Bilder von Annette, ich die schwarzweiss - Prints meiner KOPFKÖRPER. Parallel trieben wir unsere Karrieren voran. Nach der Wende standen wir in gewohnter freundschaftlicher Konkurrenz, waren vom Ehrgeiz angetrieben und unterstützten einander. Berufliche Erfolgsmeldungen pendelten hin und her, die Jahre vergingen und alles war ok. Dachte ich. Doch neben den endlosen Kunst – und Politdiskussionen wurde nie über eigene Befindlichkeiten gesprochen. Und wenn, hörte Erasmus zu und sagte niemals etwas über sich. Nicht eine Silbe. Auch seiner Frau und Gefährtin erging es nicht anders. Nach 43 Jahren gemeinsamen Zusammenlebens – und Arbeitens hat er sich ohne Ankündigung von ihr und uns verabschiedet. Minutiös geplant wie eines seiner ehrgeizigen Fotoprojekte. Was für ein Schock. Zum Steinerweichen. Mein tiefstes Mitgefühl gilt vor allem Dir, Annette.
Claus Bach, im April 2021