Andreas Langen über Joakim Eskildsen und Cia Rinne
Als Joakim Eskildsen zum ersten Mal das Wunder der Fotografie erblickte, war es um ihn geschehen. Er schaute seinem älteren Bruder über die Schulter, der sich in der verdunkelten Garage ihres Elternhauses über eine Entwicklerschale beugte, und sah, wie auf der weißen Papierfläche allmählich ein Bild entstand. „In diesem Moment hatte ich so etwas wie meine Bestimmung gefunden“, erzählt Eskildsen. Fortan unterschrieb der 13jährige alle Schriftstücke mit „Joakim Eskildsen, Fotograf“. Er begann, seine unmittelbare Umgebung mit der Kamera zu erkunden: Haus und Garten, das Dorf, in dem er aufwuchs, die Natur ringsum, das faltige Gesicht seiner Großmutter. „Auf gewisse Weise habe ich damals schon das Gleiche getan wie heute“, meint Eskildsen, „nämlich erforscht, was draußen in der Welt für mich wichtig ist.“
Solch ruhige Selbstgewissheit braucht es wohl, um einen Weg zu gehen wie Eskildsen. Ein paar Jahre nach seinem fotografischen Erweckungserlebnis in der Garage organisierte er sich einen Praktikums-, dann einen Ausbildungsplatz bei Rigmor Mydtskov in Kopenhagen. Dass Mydtskov die offizielle Fotografin des dänischen Königshauses war, er also fortan mit Erlauchten und Prominenten aller Art zu tun hatte – es beeindruckt ihn bis heute nicht. Der Junge vom Land zog in die Hauptstadt, aber statt sich von der Welt der Schönen und Reichen blenden zu lassen, sah er darin nichts weiter als ein Übungsgelände für sein fotografisches Handwerk. Das lernte er gründlich: Klein- und Großbild, printen in Schwarz-Weiß und Farbe, Licht setzen und Umgang mit Menschen vor der Kamera. Nach fünf Jahren kehrte er dem Glamour den Rücken. Eskildsen studierte in Helsinki Fotografie, lernte seine Frau Cia Rinne kennen, eine polyglotte Deutsch-Finnin, und arbeitet seither mit ihr gemeinsam an Projekten in Skandinavien, Portugal, dem Maghreb, Südafrika und Asien. Eines verbindet all diese Arbeiten: höchste Intensität.
Deren Entstehen verdankt sich vor allem der Geduld, und der Genügsamkeit. Eskildsen und Rinne verzichten auf Geld, aber nicht auf Gründlichkeit. Sie leben von der Hand in den Mund, aber gestatten sich eine Zeitfülle, als wären sie Entdeckungsreisende aus längst vergangenen Jahrhunderten. Als erstes lernt Cia Rinne, die sich in einem guten dutzend Sprachen verständigen kann, die Sprache der Menschen, um die es geht – mal Portugiesisch, mal ein paar Brocken Zulu, mal Roma, die Sprache der Zigeuner. Dann begeben sie und ihr Mann sich ins Thema, und zwar mit Haut und Haar. Hotels kommen nicht in Frage, schon finanziell. In Afrika schlafen sie in Lehmhütten, bei den Roma in deren Verschlägen auf Müllkippen und in Elendsvierteln. Tagsüber helfen sie beim Kochen, Holzhacken und Wasserholen, abends hören sie Geschichten und Lieder. Sie bleiben Wochen, manchmal Monate. Die Arbeiten am Roma-Projekt erstreckten sich über sieben Jahre, mit Reisen nach Indien, Russland, Finnland, Rumänien, Griechenland und Frankreich.
Nebenbei machen Eskildsen und Rinne Bilder, Tonaufnahmen, Notizen. So entstehen Dokumente, die buchstäblich einmalig sind. Der Direktor des Russischen Museums für Ethnologie traute seinen Ohren nicht, als er die CD hörte, die dem Roma-Buch beigefügt ist – für Cia hatten die Musiker Lieder gesungen, die eigentlich nur erklingen, wenn die Roma unter sich sind. Und von Joakims Bildern sehen einen die Fotografierten an, als blickten sie nicht in eine Kamera, sondern einem engen Vertrauten aus nächster Nähe in die Augen. Diese Intimität, kombiniert mit der abstrakten, informativen Ebene von Text und der Sinnlichkeit der Originaltöne, machen die Arbeiten von Joakim Eskildsen und Cia Rinne zu unvergleichlich reichhaltigen Werken. Nur oberflächliche Betrachter werfen Eskildsen manchmal vor, die pure Schönheit seiner Bilder zeuge von unangebrachtem Romantizismus – was soll schön sein am Leben der Roma, die bis auf den heutigen Tag geprügelt, geschunden und verachtet werden?
„Solche Kritik verwechselt Schönheit mit Banalität“, hält Eskildsen dagegen, „ich kann nur zeigen, was ich zutiefst als wahr empfinde – und in den wahren Dingen sehe ich etwas wie ein Leuchten.“
Seinem Buch hat einen Satz vorangestellt, den ihm Romakinder in Russland sagten: „Ce mundró o miró! “ – Wie schön doch die Welt ist!